„Lichtblicke“ im Evangelischen Krankenhaus Bad Dürkheim am 30.10.2011

Laudatio

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

nennen wir es doch einfach Fisch. Von weißen Konturen scharf umrissene Farbflächen schwimmen gleichsam ineinander und bilden die Form eines Lebewesens – ob es ein Pantoffeltierchen oder ein Fisch – so der Titel des Bildes ist – bleibt formal unbestimmt.

Viola Rudel schafft ihre Bilder in einer von ihr persönlich entwickelten Maltechnik. In einem ersten Schritt legt sie eine aus unterschiedlichen Materialien bestehende Unterschicht an. So erhält sie aus zufällig entstandenen Strukturen einen Einstieg in ihre Bildphantasie. Sie trägt dann nämlich die Farben schichtenweise auf. Dieser Prozess kann sich bis zu 50Mal wiederholen. Sie verwendet bevorzugt Acrylfarben. Außerdem fällt auf, dass jede einzelne Farbfläche durch die Struktur einer Papierschicht aus selbst geschöpftem Papier (Grassamen, Stroh und Blüten sind als lebendige Materialien darin oft eingearbeitet) eine durchmaserte Farbigkeit erhält und in Folge der Schichtenmalerei eine lichte Transparenz. Jede Zelle hat, wie bei einem transluziden Emaille, ihre fest umgrenzte Lokalfarbe, die Konturlinien wirken wie helle Stege. Aber auch von der Hinterglasmalerei lassen sich Einflüsse erkennen, beispielsweise die zu- und abnehmende Farbdichte, die sich aus diffuser Helligkeit zu verdichtetem gelbgrün an den Rändern absetzt.

Selbstverständlich erwarten wir den Fisch im Wasser, aber das Wasser fließt hier magmatisch und zäh und klumpt sogar. Ist also das Wasser in Wirklichkeit der Himmel und der Fisch schwebt zwischen allen Sphären? Der „Lichtblick“ erscheint wie ein eingefangener Moment eines flüchtigen Augenblicks. Gleichzeitig hat die verdichtete Gestalt den unbefangenen Ausdruck einer kindlichen Seele. Pionier dieser Sichtweise war Paul Klee und er hat viele Nachahmer gefunden. Viola Rudel imitiert ihn natürlich nicht, partizipiert aber an seinem Gestaltungsprinzip, das bei ihr semantische Züge annimmt, nämlich ein Vokabular, das immer wieder sich neu zuordnen lässt. Ob als Wirbel in der Arbeit „Lieblingstier“ mit knochenartigen Gebilden oder bei ihren Baumdarstellungen geradezu betont wird, wenn Längsschnitt und Querschnitt des Baumes, also Stamm und Baumscheibe, übereinander geblendet werden. Die Natur wird so zum Wörterbuch, wie Eugene Delacroix dies ausdrückte. Denn der moderne Forscherblick ist in dem Werk „Baum I“ sichtbar gemacht worden, wenn eine Art Genprotokoll als Buch und Baustein des Lebens aufgelistet wird. Mit Kindlichkeit hat das genauso wenig zu tun wie bei Paul Klee und anderen.

Die heitere Seite der lebendigen Natur hat bei Viola Rudel eine Kehrseite, die in französischer Ateliersprache „Nature morte“ heißt. Die allein auf einem abstrahierten Hintergrund befindliche Paprikaschote hat sich ihren Maßstab auf der Bildfläche selbst erobert. Eine räumliche Bestimmung ist nicht mehr vorhanden. Sie sprengt in ihrer leuchtenden Wucht den Raum als Protest gegen das Verwelken. So ist auch hier ein Augenblick aus dem Prozess des Lebens – Blühen, Reifen und Vergehen – gebannt worden. Hier weiß das Verfallende Schönheit zu stiften in dem herausleuchtenden saftigen Rot – ein weiterer „Lichtblick“.

Hermann Hesse hat den in der Werkserie Früchte aufgegriffenen Gedanken der Lebensstufen poetisch so ausgedrückt: „Jede Blüte will zur Frucht, jeder Morgen Abend werden. Ewiges ist nicht auf Erden,  als der Wandel als die Flucht“. Rudel wählt als Bildmotiv von Werden und Vergehen das Ei für die Kindheit, den Apfel für die Jugend, die Kirsche und den Paprika für die vitale Lebensmitte und die Zitrone – das Vanitas- Symbol schlechthin seit der Renaissance – für Alter, Tod und Vergänglichkeit. Bezeichnenderweise hat man im 18. Jahrhundert in der Pfalz bei Bestattungen eine Zitrone dem Sarg nachgeworfen.

Das Altmeisterliche in diesen Früchtestilleben zeigt sich in den Lichtflecken auf der Oberfläche von Kirschen, Quitten oder Zwiebeln. Die Niederländer haben dieses Motiv verwendet, um die Lichtführung im Stilleben zu unterstreichen. Vielleicht ist dies ein Resultat der Amsterdam-Reise, die Viola Rudel 2008 unternommen hat.

Die Reiseeindrücke selbst hat sie in ihrer Bildserie „Unterwegs“ niedergelegt. Das Motiv der Tür ohne Ausweg in der Räumlichkeit spielt hier eine wesentliche Rolle. Es sind viele düstere, auch unheimliche Arbeiten, in der selbst eine sitzende Figur einen dunklen Schatten hinter einem roten Vorhang (oder ist es eine Tür?) wirft. Die „Lichtblicke“ finden sich hier nur in einer Bildunterschrift: „Und manchmal öffnet sich eine verschlossen geglaubte Tür “.

Ein überraschender Stilwandel vollzieht sich in der Bildserie „Gefäße“, deren Ansicht fotorealistisch erscheint wie die aquarelliert wirkende Emailleschüssel mit blauem Rand (eine Erinnerung an die geliebte Großmutter), deren sachliche Kälte Spuren des Gebrauchs überliefert, die wiederum durch die Struktur des Papiers hervorgehoben werden. Auch hier ist der Ort des Vernachlässigten, des Gebrauchten – man vergleiche nur den falsch angelöteten Henkel an dem Kännchen mit der unbehausten Situation in dem Werk „Tonis Brotbox“. Die wärmende Flamme der Kerze ist abgeschnitten, das Schloss an der Brotbox erscheint wie ein Totenschädel. Irgendeine unheimliche Geschichte wird hier erzählt. Rätselhaft bleibt auf jeden Fall, wie ein Schein der erloschenen Kerze sich auf der emaillierten Brotbox spiegeln kann. Ob es auch hier einen Lichtblick gibt?
Für Viola Rudel bedeuten „Lichtblicke“ das Fokussieren des eigenen Erlebens im Aufgreifen und Heranzoomen von Details, die als Teil für das Ganze stehen. Ihre Lichtblicke sind so gesehen Umsetzungen in ihre ganz persönliche Malerei. Das hat etwas Tröstliches, das sich beim Betrachter vermittelt.

Monika Portenlänger, Kunsthistorikerin

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